Stefan Daniel

Schöne neue Welt

Der Werkkomplex „Schöne neue Welt“ von Stefan Daniel fasst drei Serien zusammen, die Gebirgslandschaften zeigen und mit der Camera Obscura aufgenommen wurden: Aussicht (2023), Lightscapes (2022) und Shifting Territories (2021).

Die beiden Reihen Aussicht und Shifting Territories bestehen aus Heliogravüren, die schneebedeckte Berge in diffusem Nebel abbilden, wobei der Titel „Aussicht“ auf den Blick ins Freie und in die Ferne, auf die Aussicht auf eine Landschaft, als auch hoffnungsvoll auf eine bessere Zukunft verweist. Die kleinformatigen Heliogravüren von Shifting Territories bilden ebenfalls eine verlassene Berglandschaft ab, zart und schwarz-weiß. Diese verändert sich von Bild zu Bild, die Berge verlieren an Volumen, die Landschaft wird ebener – es scheint, als hätte der Künstler hier das Sterben eines Gletschers, mit dem auch immer ein unumkehrbarer Verlust an Biodiversität einhergeht, zeitlich dokumentiert. Schließlich endet die Serie mit einem leeren Bild, mit einer offenen Zukunft, in der unklar ist, ob die verantwortlichen Menschen Veränderungen anstoßen und die globale Erwärmung aufgehalten werden kann.

Die zweite Serie des Werkkomplexes Schöne neue Welt von Stefan Daniel, Lightscapes, umfasst eine Reihe in farbiges Licht getauchter Landschaften, wobei die hügeligen Ebenen und Gebirge im schattigen Dunkel liegen und sich hinter ihnen ein leuchtender Himmel erstreckt, dessen Farben unmittelbar an Polarlichter denken lassen, die als Aurora borealis im hohen Norden und als Aurora australis auf der Südhalbkugel in Erscheinung treten.

Durch Sonnenwinde verursacht, die mit dem Magnetfeld der Erde reagieren, sind diese Naturphänomene in Form von strahlenförmigen Bögen, farbigen Bändern und leuchtenden Schleiern in dunklen Nächten am Himmel zu sehen. Mit seinem Werkkomplex führt Stefan Daniel seine Beschäftigung mit Gebirgslandschaften fort, die 2016 mit seiner preisgekrönten Serie Hidden Landscapes begann, einer Dokumentation des in Geotextilien gehüllten Rhonegletscher.

Aber bei Schöne neue Welt handelt es sich um keine Fotografien von tatsächlichen Orten, sondern um mit farbigen Lampen ausgeleuchtete Modelle, konstruierte Landschaften, die der Künstler mit gebrauchten Gletscherschutzvliesen vom Rhonegletscher akribisch im Atelier geformt hat. Bei näherem Betrachten werden die Landschaftsmodelle, gestaltet aus diesen Stoffen, sichtbar; die Materialität des Gletschervlieses, die Falten des Textils, seine raue Oberfläche.

Die vermeintlichen Polarlichter im Hintergrund entpuppen sich als projizierte reale Fotografien des Nachthimmels von gigantischen Gewächshausanlagen in den Niederlanden und Kanada, die das schnelle Wachstum von Pflanzen fördern sollen, aber auch für Lichtverschmutzung, einen hohen Energieverbrauch und die Erderwärmung mit verantwortlich sind.

Die Arbeiten von Schöne neue Welt stellen unsere Wahrnehmung und das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit infrage. Durch unsere Sehgewohnheiten erkennen wir schneebedecke Berge, einen Ausschnitt der Geschichte, einer bald vergangenen Wirklichkeit. Seit ihrer Erfindung wurde Fotografie als vermeintliches Abbild der Realität interpretiert; dabei ist sie doch immer ein gewählter Ausschnitt; hinter dem eine Absicht oder eben auch eine Inszenierung steht. Schöne neue Welt sind eine analoge Konstruktion verschwindender Landschaften; erstellt mit der Camera Obscura als Vorläufer der Fotokamera und Grundlage der modernen Fotografie. Durch die bewusste Verwendung dieser analogen Technik spielt der Künstler auch auf die vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten der digitalen Fotografie und die scheinbar perfekte Welt in den Sozialen Medien an, die unsere Wahrnehmung der Welt prägt, sich aber oft als trügerisch herausstellt und mit Bildbearbeitung und Filtern nicht das ist, was sie vorgibt.

Der Titel des Werkkomplexes bezieht sich auf den bekannten Roman Brave New World von Aldous Huxley, der bereits 1932 eine Welt beschrieb, in der alle Bedürfnisse der Menschen durch übermäßigen Konsum gestillt werden und die Gesellschaft auf Produktion und Konsum ausgerichtet ist, technischer Fortschritt alle Probleme löst und die Menschen die Verbindung zur Natur verlieren. Mit der kapitalistischen Konsumgesellschaft im globalen Norden, (drohenden) Diktaturen und weit verbreitetem Drogenkonsum ist Aldous Huxleys Dystopie von 1932 aktueller als wir glauben mögen.

Lena Fliessbach, Kuratorin&Autorin

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